J. Schirrmacher: Die Politik der Sklaverei

Titel
Die Politik der Sklaverei. Praxis und Konflikt in Kastilien und Spanisch-Amerika im 16. Jahrhundert


Autor(en)
Schirrmacher, Jonas
Erschienen
Paderborn 2018: Ferdinand Schöningh
Anzahl Seiten
420 S.
von
Jose Cáceres

Weder die weltberühmten Theologen der Sklaverei noch die versklavten Personen stehen im Mittelpunkt der Dissertation Jonas Schirrmachers. Die Arbeit setzt einen anderen Akzent, indem sie die Sklaverei als «ein kontextabhängiges politisches Instrument, über das zwischen den verschiedenen Fraktionen in unterschiedlichen Situationen verhandelt wurde» (S. 13) versteht. Zur Analyse dieser Konstellation greift die Studie praxistheoretische Ansätze auf und rekonstruiert die politischen und sozialen Praktiken der spanischen Krone und der lokalen Elite. Damit ordnet sich die Arbeit in eine Reihe frühneuzeitlicher Forschungen ein, die sich der Praxistheorie zugewandt haben, um die Spannung zwischen Strukturen und Individuen aufzulösen. Allerdings unterlässt es der Autor, sich innerhalb der verschiedenen praxistheoretischen Ansätze zu positionieren und die
methodischen Implikationen zu diskutieren.1

Die Arbeit expliziert erstens das System der Sklaverei auf der Iberischen Halbinsel, indem sie den theologischen, rechtlichen und politischen Grundlagen der frühneuzeitlichen Sklaverei nachgeht. Der Autor verdeutlicht die Relevanz der Sklaverei in der iberischen Gesellschaft, auf die sich die Sklaverei des 16. Jahrhunderts stützte. Zweitens analysiert Schirrmacher die Sklaverei als politisches Instrument; dies anhand des Beispiels der Versklavung der indigenen Bevölkerung auf den Kanaren. Er zeigt auf, wie die Sklaverei in einem Konfliktfeld konkurrierender Interessen stand, was einen flexiblen Verhandlungsprozess zwischen den Akteuren voraussetzte. Im ersten grossen Abschnitt erarbeitet Schirrmacher drittens die morisco-Sklaverei in der guerra de Granada. Dabei galt es, so der Autor, die Funktionen und Dysfunktionen der Sklaverei flexibel zu verhandeln und den ökonomischen, militärischen und politischen Bedürfnissen des Krieges Rechnung zu tragen. In einer zweiten grossen Sektion wird schliesslich die Bedeutung der indio-Sklaverei in der «Neuen Welt» analysiert. Schirrmacher hebt hier erneut die multidimensionale unktionalität der Sklaverei sowie den komplexen Aufbau der bürokratischen Strukturen hervor, welche die Versklavung, deren Organisation und Besteuerung überhaupt erst ermöglichten.

Zwar fragt der Autor nach den Praktiken abseits von theologischen und normativen Postulaten, die Analyse illustriert aber vor allem den engen Zusammenhang diskursiver und politischer Praktiken. Für den Fall der morisco-Sklaverei zeigt Schirrmacher die stetigen Wechselbeziehungen zwischen königlichen sowie individuellen Praktiken und Diskursen auf. Sowohl die Krone als auch die Conquistadores und Encomenderos bemühten regelmässig den theologisch-juristischen Diskurs des «gerechten Krieges» und übersetzten ihn in flexible Entscheidungsgrundlagen. Wie der Autor selbst hervorhebt, war die Politik der Sklaverei eine «spezifische und situative Beurteilung» (S. 357). Trotz dieser Einsicht unterlässt es Schirrmacher, den grundlegenden Orientierungspunkt dieser «Flexibilitätspolitik» klar zu benennen: die koloniale Herrschaft. Trotz aller Dysfunktionen der Sklaverei war den Herrschern und lokalen Akteuren ein Ziel gemeinsam: die Kontrolle der Territorien und deren Bevölkerung auf den Kanaren, in Granada und in Amerika. Das Kapitel «Prolog: Die Eroberung der Kanaren» betont die Verbindung von Sklaverei und Eroberung (S. 95), ein paradigmatisches Exempel der Einbettung der Sklaverei in der kolonialen Praxis – dennoch wird die Kolonialität der Funktionen und Dysfunktionen im Rahmen der übrigen analysierten historischen Kontexte nicht eingehend problematisiert, sondern nur in ihrer praktischen Dimension erörtert.

Kolonialität, im Sinne von Machtstrukturen, welche der Kolonialismus aufbaut und die Differenzen sowie Hierarchien, die er reproduziert, wäre aber ein nützliches analytisches Instrumentarium gewesen, dem mehr als nur eine begriffliche Bemerkung zugestanden hätte (S. 18). Dass beispielsweise Indigene zu «feindlichen» caribes erklärt wurden, um damit ihre Versklavung zu rechtfertigen, bestätigt das Postulat Aníbal Quijanos’, wonach Rasse als Klassifikations- und Legitimationsinstrument dient, um die Herrschaft über ein Territorium und die Kontrolle über Arbeitskraft zu ermöglichen.2 Aufschlussreich wäre es gewesen, wenn post- und dekoloniale Theorien gerade für eine Analyse vormoderner kolonialer Politik herangezogen worden wären. Auch in einem praxistheoretischen Sinn wäre es gewinnbringend gewesen darzulegen, dass die Analyse der imperial agency von Krone und lokaler Elite die Praktiken rekonstruiert, wie sie Kolonialität produzierten.

Nichtsdestotrotz zeigt die Arbeit anschaulich die Vorteile eines praxeologischen Blicks zur Überprüfung makrohistorischer Narrative. In diesem Sinne belegt die Studie, wie etwa die Verbotspolitik von der Versklavung in Amerika keinesfalls in einen abolitionistischen Zusammenhang betrachtet werden sollte oder wie die Sklaverei mitnichten auf Disziplinlosigkeit zurückgeführt werden kann, sondern dass sie vielmehr aus einem breiten Arrangement von Praktiken bestand, das eine flexible Sklavereipolitik überhaupt erst ermöglichte.

Anmekrung:
1 Vgl. Constantin Rieske, Lucas Haasis (Hg.), Historische Praxeologie. Dimensionen des vergangenen Handelns, Paderborn 2015; Arndt Brendecke (Hg.), Praktiken der Frühen Neuzeit. Akteure – Handlungen – Artefakte, Wien 2015 (Frühneuzeit-Impulse 3); Dagmar Freist (Hg.), Diskurse – Körper – Artefakte. Historische Praxeologie in der Frühneuzeitforschung, Bielefeld 2015.
2 Vgl. Aníbal Quijano, Coloniality of Power, Eurocentrism, and Latin America, in: Nepantla: Views from South 1/3 (2000), S. 533–580.

Zitierweise:
Cáceres, Jose: Rezension zu: Schirrmacher, Jonas: Die Politik der Sklaverei. Praxis und Konflikt in Kastilien und Spanisch-Amerika im 16. Jahrhundert, Paderborn: Ferdinand Schöningh, 2018. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte 71 (3), 2021, S. 500-502. Online: <https://doi.org/10.24894/2296-6013.00093>.

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